Bauchtanz in Südtirol
– eine Hommage an unseren Lehrer Erkan
Für Erkan begann das Tanzabenteuer bereits im Grundschulalter als Musiker und Tänzer in der heimatlichen Folkloregruppe. Anfang der 70er Jahre begann er, in den Münchner Studentenkreisen parallel zur kaukasisch-türkischen Folklore auch den Orientalischen Tanz zu unterrichten, was Anfang der 80er Jahre in der Gründung der ersten Schule für Orientalischen Tanz in München mündete, dem Tanzstudio Oriental.
Vor 30 Jahren, als die ersten Kurse in Südtirol angeboten wurden, war der Orientalische Tanz nur wenig bekannt. Unwissenheit über die orientalische Lebensweise hatte zu Vorurteilen geführt, und diese Vorurteile hatten viele daran gehindert, sich mit dem uralten Wissen über die psychische und physische Gesundheit der Frau in ihrer Ganzheit auseinanderzusetzen.
Mittlerweile gibt es auch in Südtirol mehrere Anbieter für Orientalischen Tanz, er ist auch hierzulande für seine therapeutische Wirkung bekannt und wird von Ärzten sowie Psycho- und Physiotherapeuten empfohlen. Selbstverständlich ist die Voraussetzung für seine vielseitige positive Wirkung, dass er in seiner originalen Form praktiziert wird.
Da er nicht direkt aus dem Orient nach Europa gelangte, sondern vor etwa 50 Jahren über den Umweg Amerika hier Einzug fand, ist dies keine Selbstverständlichkeit. In Amerika erlitt der Orientalische Tanz einige Veränderungen, die ihn gerade in seinen wesentlichen Merkmalen verstümmelt haben. Vielfach wurde eine rein äußerliche Form des Tanzes nachgeahmt, ohne dass sein Wesen erkannt, geschweige denn verstanden worden wäre. Alle Orientalen macht es traurig, wenn sie feststellen müssen, wie ihre Kultur verfälscht wird. Manche vergleichen sich mit einem Italiener, der im englischen Supermarkt nachdenklich seine Spaghetti in einer Dose betrachtet…
Alle Orientalen macht es traurig, wenn sie feststellen müssen, wie ihre Kultur verfälscht wird. Manche vergleichen sich mit einem Italiener, der im englischen Supermarkt nachdenklich seine Spaghetti in einer Dose betrachtet…
Der originale Orientalische Tanz ist ein gemeinsames Kind der orientalischen Länder von Indien bis Marokko. Jedes Land hat den Tanz mit seinem Beitrag bereichert und ihn dadurch mit zur heutigen Form geführt. So wird in diesen Ländern der Tanz “Raqs Sharqi” genannt (Tanz des Ostens). Es wird kein einzelnes Land hervorgehoben, wie z.B. ägyptischer Tanz oder türkischer Tanz, sondern er wird schlicht und einfach “Orientalischer Tanz” genannt und vorwiegend zu arabischer Musik getanzt.
In Amerika versuchte man, standardisierte Choreografien für den Orientalischen Tanzes zu entwickeln, und diese Praxis wurde nach Europa exportiert. Dadurch wurde der Orientalische Tanz mindestens ebenso verfälscht wie durch die Seifenopern-Klischees. Denn Choreographie an sich widerspricht der orientalischen Denkweise. Da jeder Mensch ein einmaliges, einzigartiges Wesen ist, sind vorgegebene Tanzchoreografien nicht dazu geeignet, der individuellen Persönlichkeit einer Frau Ausdruck zu verleihen. Nicht die Tanzschritte und -figuren stehen daher beim Orientalischen Tanz im Vordergrund, sondern die jeweilige Frau mit allen Facetten ihrer individuellen Persönlichkeit. Der Orientalische Tanz ermöglicht es, dem eigenen Gemütszustand Ausdruck zu verleihen und auf die persönlichen Stärken und Schwächen einzugehen. Da jede Frau ein Universum für sich ist, kann eine vorgegebene Choreografie diesen Ansprüchen niemals gerecht werden. Choreografien reduzieren nicht nur den Tanz, sondern vor allem die Tänzerin auf äußere Materie, ohne den Schatz zu würdigen, der dem Körper innewohnt. Der Mensch gilt in allen Ländern des Orients nach wie vor als das Höchste, das Gott erschaffen hat. Ein Mensch, der um diese eigene Größe weiß, lässt sich nicht zur Kopie eines anderen Menschen reduzieren. Dies jedoch geschieht durch Choreografie.
Der Mensch hingegen, der seinen eigenen Wert kennt und seine Würde wahrt, entfaltet dementsprechend seine eigene, individuelle Persönlichkeit. Leider geht in der modernen Gesellschaft das Bewusstsein um den eigenen Wert leicht verloren. Menschen verhalten sich daher oft auch nicht entsprechend ihrer eigentlichen inneren Größe. Ein Symptom für mangelndes Selbstbewusstsein sind zum Beispiel die alljährlichen Modewellen. Sie erwecken den Eindruck, als hätten viele Menschen die Freude oder auch den Mut an ihrer Einzigartigkeit verloren. Die zahlreichen Bemühungen, denen sich Frauen unterwerfen, nur um absurden Schönheitsidealen zu entsprechen, sind ebenfalls nicht selten ein Zeichen geringer Selbstachtung. Wer jedoch die eigene Größe kennt, achtet sich selbst und andere. Nur wer die eigene Größe kennt, kann andere Größen neben sich nicht nur dulden, sondern sogar schätzen.
Beim originalen Orientalischen Tanz ist daher die Stärkung des eigenen Charakters wesentlich. Die Frau findet zu einer im wahrsten Sinne des Wortes aufrechten Haltung, sie wird nicht zur Kopie einer anderen Tänzerin, sondern entwickelt ihre eigene, originale Tanzform. Dies ist durch Selbsterkenntnis und vor allem durch geistige Stärke erreichbar. Diese Eigenschaften werden in unseren Tanzseminaren daher gezielt geschult, und viele der Schülerinnen bestätigen immer wieder, dass neben den gesundheitlichen Vorzügen vor allem das mentale Training der wahre Reichtum dieses Tanzes ist. Nur eine reife Frucht erhält – entsprechend ihrer inneren Vollendung – auch äußeren Glanz. Daher lehren wir unsere Schülerinnen nicht die Schale, sondern vor allem die Frucht, wie es im Orient üblich ist: nicht oberflächlich zu bleiben, sondern in die Tiefe zu gehen. Es ist der Geist, der dem Körper die Richtung gibt.
30 erfolgreiche Kursjahre in Südtirol wie auch in vielen norditalienischen Städten zeigen, dass Frauen den originalen Orientalischen Tanz als solchen erkennen, da er ihrem Wesen entspricht, und dass die orientalische Lebenseinstellung den Alltag in der westlichen Welt ergänzen und bereichern kann.
Die Wüstenblumen-Lehrerinnen